New York Exodus…
Sie sei erschöpft, war alles was Sie dem Therapeuten zu sagen wusste. Nachdem sie acht lange Jahrzehnte angestarrt worden war, wollte Sie endlich selbst etwas sehen, dachte sie. Es stimmte, es gab Höhen und Tiefen und zuletzt, das heißt nach dem schlimmen Ende Ihrer größeren Zwillings-Kollegen, hatte sie wieder so viel ungeteilte Aufmerksamkeit genossen wie ganz zu Anfang. Doch das machte sie nur noch trauriger. Die ordinären Türme, die direkt neben dem Grab Ihrer Freunde errichtet wurden, seien mehr oder weniger Imitate viel beeindruckenderer Originale am anderen Ende der Welt. Genug! Sie war schlank, sie war groß, und wenn Du es hier geschafft hattest, … “So langweilig es Ihnen auch erscheinen mag, Sie können Ihrer eigenen folkloristischen Existenz nicht entkommen” schloss der Therapeut, “aber ein Ortswechsel könnte Ihnen helfen sich selber anzunehmen”.
Nur fünf Monate nachdem das Empire State-Building Richtung Mars gestartet war, folgte das Chrysler-Building seiner angeborenen Vorliebe für alles Französisch-Romantische und zog nach Paris. Inspiriert durch solche Kühnheit und um nicht zu Dinosauriern des Architektur-Zoos des zwanzigsten Jahrhunderts zu werden, der Manhattan mehr und mehr schien, gaben sich Flatiron und Seagram ihrer jeweiligen Sehnsucht nach Zukunft oder Vergangenheit hin. Die Freiheitsstatue, des Tragens der Ihr aufgebürdeten heroischen Last müde, verließ Manhattan auf der Suche nach einfühlsamer Gesellschaft. Als schließlich die eben erst fertig gestellten Freiheits-Türme nach Dubai abhauen, setzt eine wahrhaftige Fluchtwelle ein; und der Exodus der „City of the Captive Globe“ kapert den Erdball.
… Und die Abenteuer der Manhattan Diaspora
Als traditionelle Science Fiction Kulisse, bot New York in der Vergangenheit urbanen Utopien und Dystopien eine natürliche Heimat. Verkörperte es geradezu die Stadt des zwanzigsten Jahrhunderts, so verliert New York gegenwärtig an Bedeutung parallel zum Aufstieg anderer urbaner Zentren einer multipolarer werdenden Welt.
In „Exodus… Die Abenteuer der Manhattan-Diaspora“ wird New York von seinen prominentesten architektonischen Einwohnern verlassen. Die haben entweder Sehnsucht nach ihren Europäischen Ursprüngen oder wollen das 21. Jahrhundert nicht verpassen. Einst als Garanten konstanter programmatischer Veränderung gefeiert fürchten New Yorks Wolkenkratzer frühreif zu erstarren. Wenn sie sich schon nicht der eigenen Vergeschichtlichung erwehren können, so gelingt ihnen wenigstens die Flucht aus dem folkloristischen Manhattan. Ob die Auflösung der Universalstadt in die Städte der Welt New Yorks globalen Einfluss schwächt oder stärkt ist eine Frage der Perspektive.
Ort: Manhatten, New York City, USA
Team: Nicola di Croce, Anjali Menon, Federico Segat, Jakob Tigges
Bauherr: City Vision Association
Zeitraum: 2012